Was siehst du im Spiegel ?
Den Weg, den dieses Gesicht bis hierher zurückgelegt hat? Der Fön bläst in die Falten von einigen hundert vergessenen Ängstlichkeiten. Die Falte sehen sie alle, wer von ihnen hat je eine deiner Ängstlichkeiten geteilt oder getröstet?
Jetzt bedauern sie deine Falten. Die Erinnerung, von der doch nur der Abschied schmerzt!-oder heißt diese Falte nicht selbst Leb wohl? Ein Spritzer Wasser hat sich in ihrer zu einer Träne gesammelt, die Augen schwellen schon lange nur noch in der Nacht an. Es ist auch nicht mehr die Welt, was hier dem suchenden Blick als Schimmer antwortet. Von Erinnerung getrübte, in Erinnerung ertrinkende Erwartung? Oder ist da noch in Erinnerung gärende, ihre Versteinerungen sprengende Erwartung? Das gibt die tiefen, zerrissenen Falten.
Was hast du versäumt? Hast du etwa dich verloren? Was du gefunden hast, hat die Zeit wieder genommen: Angehörige, Freunde und je länger du lebst, umso mehr werden gehen, ohne daß sogleich eine neue warme Seele an die Tür klopft. Aber du bist in der Welt und bei dir. Da wird immer mehr Abschied und immer weniger Willkommen sein. Aber es wird eben auch Willkommen sein. Sterne erlöschen, je weiter du aus dem Raum gehst. Der Raum wird weiter, gibt mehr Raum für neue Sterne. Da heißt es warten. Auch auf das Leben.
Wie komme ich vom Spiegel in die Nacht? Er sagt: Sieh dich an. Aber dieses Ich ist unerkennbar in dem Bild, das es zurückspiegelt, genannt Welt.
6. 9. 01
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